Logan – Filmkritik

Was passiert, wenn Helden alt werden? Wenn die „Heldenreise“, die 90% aller Mainstreamfilme zu Grunde liegt, nicht mehr funktioniert?
Im besten Fall sehen wir einen Film wie „Creed“. In dem der Held von damals seine Erfahrungen an den neuen Helden weitergibt. Oder, wie in Episode VII, einer Heldin.

Wie verhält es sich aber mit einem Antihelden?

Im Jahr 2000 ließ Bryan Singer die „X-Men“ auf uns los und kurzfristig sprang ein weitgehend unbekannter, australischer Musicaldarsteller namens Hugh Jackman für den anderweitig unter Vertrag stehenden Dougray Scott ein. Niemand hätte erwarten können, dass gerade dieser Schauspieler den Wolverine Charakter zum Fan-Favourite machen würde. 17 Jahre und einige Spin-Offs später stehen wir nun wieder vor dem Kino und überlegen, ob wir uns den neuen Film namens „Logan“ ansehen sollen. Zu tief sind noch immer die „X-Men Origins: Wolverine“ Wunden.

Um diese Kritik zu spoilern: Hört auf zu überlegen und reserviert sofort ein paar Tickets im originalsprachigen Kino eures Vertrauens! „Logan“ ist der Wolverine Film, von dem wir immer schon geträumt haben. Zumindest seit wir die Pubertät hinter uns gelassen haben.

„Auf in dein scheiß Fantasieland!“

Logans Welt ist trist. Die Polkappen schmelzen. Rassismus und Verbrechen an jeder Ecke und die Zeit der Mutanten ist vorbei. Er verdingt sich als Limousinen Fahrer und kümmert sich um einen Professor Charles Xavier, der die meiste Zeit dement vor sich hin brabbelt und seinen Mutantengeist ohne starke Medikamente nicht im Zaum halten kann. „Herbstlich“ würde ein Poet das gezeigte Setting bezeichnen. Verbittert und geschlagen humpelt der ehemalige Wolverine durch diese Welt. Seine Wunden heilen nicht mehr so wie früher. Es gibt keine Perspektiven auf eine versöhnliche Zukunft.

So wie die ersten X-Men Filme Metaphern für das Erwachsenwerden und Anderssein waren, so bringt „Logan“ einen neuen Aspekt in das Marvel Cinematic Universe. Den letzten Abschnitt eines Lebens. Die Staffelübergabe an die nächste Generation. Die Aufarbeitung des Erlebten. Der Umgang mit den Erinnerungen und den Geschichten, die bleiben. „Amour“ für die Popcorn Generation.

Dieser Film ist nicht cool. Und geil. Und fett. „Logan“ tut weh. Das erste Mal, dass ich nicht wie die Helden und Heldinnen auf der Leinwand sein will. Ich schaue gerne zu, aber mehr auch nicht. Lasst mal die Mutanten bluten und morden und bereuen und weinen und zweifeln. Ich fühl mich hier in meinem Alltag eigentlich ganz wohl.
Und geblutet wird viel. Selbst Deadpool wird ein paar Mal sein Gesicht verziehen, wenn die Adamantium Klingen amputieren, zerreißen und aufspießen. In dieser Art sah man Comichelden noch nicht agieren. Ein paar Red-Band Trailer haben die realistische Gewaltdarstellung schon angedeutet, aber die gezeigte Härte wird euch überraschen. „Logan“ ist ein hartes „ab 16“! Weit weg von der Bubblegum Gewalt für 12-jährige seiner Avenger-, Guardians- oder X-Men KollegInnen.
Überhaupt gibt sich alles erdiger und realistischer. Wenn er zum Beispiel mit seiner Limousine vor dem Tor steht, drückt er nicht einfach einen Knopf, um sie zu öffnen. Er hält an. Steigt aus. Humpelt zum Tor. Schiebt es auf. Und. So. Weiter. „Logan“ lässt sich Zeit dabei die ehemaligen Helden in ungewohnt „echten“ Situationen zu zeigen. Umso härter treffen uns dann die Konflikte.
Schlaflosigkeit, Alkoholsucht, Eiter in den nicht heilen wollenden Wunden, nachlassende Sehstärke, Suizidgedanken, … „Logan“ ist eine erwachsene Comicverfilmung, mit erwachsenen Themen.

Natürlich ist vieles überhöht und übertrieben, aber genau das macht sich „Logan“ auch zu Nutze. Wie ein guter Sci-Fi Film schafft er es, relevante Themen durch seine Überhöhung neu zu beleuchten und unserem Dasein einen Spiegel vorzuhalten. Wer will, sieht Verfolgung, das Flüchtlingsthema aus der Sicht der Verfolgten, Globale Firmen vs. Familienbetriebe, Gen-Manipulation im Menschen und den Lebensmitteln, Kindersoldaten, … Mein persönliches Highlight ist eine jugendliche Mutantin, die sich in einer Montage zu ritzen beginnt, nur um erkennen zu müssen, dass ihre Verletzungen sofort wieder heilen. Es ist nicht leicht ein Deprimutant zu sein. Wer nicht auf Symbolik, Metaphern und Verarbeitung von Themen steht, bekommt trotzdem einen toll inszenierten Actionfilm.

Und was ist die Bedrohung für unseren alten Wolverine? Ohne spoilern zu wollen schwärme ich von der fehlenden globalen Bedrohung. Kein Alien, kein Meteor, keine Armee von Roboteraliens. Individuelle Probleme stehen im Vordergrund. Das Persönliche. Denn das schmerzt viel mehr, als das Töten von gesichtslosen Schergen. Verletzungen tun weh. Das Töten ist ein Ausnahmezustand. Das Leben ist vergänglich.

Mutant Lives Matter!

Und die Bösewichte meinen auch das Richtige zu tun, was sie ebenfalls realistischer erscheinen lässt. So sagt einer der Antagonisten: „Komm schon, mach noch eine Sache für die guten Jungs.“, und meint damit die eigene Sache. Gleichzeitig verhält es sich auch bei den Helden der Geschichte nicht so einfach wie gewohnt. Logan lässt verfolgte Kinder zurück. Schert sich nicht um seine Mitmenschen und schaut eigentlich den gesamten Film hindurch angefressen auf seine grau-braune Umwelt.

In dieser Welt lesen die Menschen X-Men-Comics. Die Helden sind zu Legenden für Kinder geworden. So wie früher Cowboys und Gladiatoren in Filmen von Übermenschen erzählt haben, oder wie christliche Figuren inszeniert wurden, so findet man viele Parallelen zu den heutigen Vorbildern aus den Medien. Das Abschlussbild des Films zeigt dieses Gleichnis auf geniale Art und Weise.

„Logan“ ist ein weiterer Schritt weg vom Mainstreamcomicfilm. Nachdem „Deadpool“ bereits das Zeitalter der Satire eingeläutet hat, was meistens den Anfang des Endes bedeutet, bringt „Logan“ das Genre einen Schritt weiter in Richtung Ernsthaftigkeit. Ein Abgesang des romantischen Actionhelden. Ein Comicheld für die Neuzeit. So wie „Die Hard“ den Helden bluten hat lassen, so lässt „Logan“ den Antihelden alt und verbittert werden. „So fühlt sich das also an“.

Fünf Filmrollen für Genrefans. Vier für alle Nicht-Mutanten!

Bewertung:
4 von 5 Filmrollen

 

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Logan
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