Im obersten Stockwerk meiner ehemaligen Schule – genau zwischen den beiden Physik-Sälen – hing über Jahre hinweg ein von Schülern gestaltetes Plakat. Als ich es zum ersten Mal näher betrachtete (das muss wohl am Weg in den Informatikraum gewesen sein), konnte ich meinen Blick kaum vom abgebildeten Porträtfoto abwenden. Obwohl ich den Mann im Rollstuhl nicht kannte, hinterließ er doch einen bleibenden Eindruck. Seinen Namen, der in großen Lettern darüber vermerkt war, sollte ich in den kommenden Jahren noch öfters zu hören bekommen: Stephen Hawking.
Doch nicht nur mich faszinierte sein Werdegang, auch der britische Regisseur James Marsh scheint daran Gefallen gefunden zu haben: In seiner mehr als zweistündigen filmischen Biografie „The Theory of Everything“ erzählt er in mitreißenden Bildern die ereignisreiche Lebensgeschichte des wohl bekanntesten Physikers der Gegenwart. Die Chronik eines unscheinbaren Cambridge-Studenten (großartig: Eddie Redmayne), der sich nicht nur als genialer Wissenschaftler entpuppen sollte, sondern auch mit der vernichtenden Diagnose ALS zu kämpfen hat. Seine Ehefrau Jane (Felicity Jones) kümmert sich dabei aufopferungsvoll um ihn und ihre gemeinsamen Kinder – und kämpft mit ihm entgegen aller Prognosen um ein erfülltes, selbstbestimmtes Leben.
Der Stoff, aus dem oscarverdächtige Hollywood-Schinken sind: Stimmige Bilder, ein kurzweilig umgesetzter Plot und tolle Schauspieler, die dem Zuschauer genügend emotionale Projektionsflächen bieten. Dazu noch ein Löffel Melodramatik, eine Prise Romantik und ein Hauch Kitsch – fertig ist der Beitrag für die Kategorie „Best Picture“. Auch die schlechten, aber durchaus menschlichen Seiten, der heroischen Hauptprotagonisten ins Bild zu rücken ist ein Wagnis, das Regisseure nur selten eingehen, wenn sie auf einen Oscar spekulieren. So auch hier: Hawking und seine Ehefrau scheinen der Inbegriff des amerikanischen Moralitätsbildes zu sein und werden – gewollt oder nicht – hochstilisiert. Die häufig eingesetzte Filmmusik gibt vor, wie man sich wann zu fühlen hat. Auf das an sich spannende, wissenschaftliche Schaffen des Astrophysikers wird auch nur sehr begrenzt eingegangen.
Dass man, wenn man wirklich nach dem besten Film des Jahres sucht, nicht unbedingt bei den Oscar-Nominees fündig wird, ist leider fast schon eine Tatsache: Die wahren Gewinner des Jahres – wie etwa Sophie Hydes „52 Tuesdays“, Wes Andersons „Grand Budapest Hotel“, „Deux Jours, Une Nuit“, „Nymph()maniac“, „Amour Fou“ oder Xavier Dolans „Mommy“ – werden bei der prestigeträchtigen Verleihung in Los Angeles kommendes Frühjahr vermutlich leer ausgehen. Wem man dann den Sieg vergönnen soll? Vielleicht ja einem zwar stark gespielten, stilistisch und inhaltlich aber leider uninspirierten, braven Biopic.
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